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Wer ist’s der seine Studienergebnisse nicht teilt?
In der am 8. November 2016 erschienenen Ausgabe des British Medical Journal (BMJ) befindet sich ein Artikel namens „60 seconds on TrialsTracker“. TrialsTracker ist eine Webseite, die den Veröffentlichungsstatus der bei ClinicalTrials** registrierten klinischen Studien der letzten zehn Jahre dokumentiert. Die Webseite schlüsselt die Anzahl registrierter gegenüber publizierten Studien nach Unternehmen bzw. Institut oder Krankenhaus auf.

Der BMJ-Artikel konzentriert sich auf die Rolle der Pharmaunternehmen im Trauerspiel veröffentlichter Studien, denn drei der fünf Einrichtungen mit der geringsten Anzahl an veröffentlichten Studien sind die Pharmaunternehmen Sanofi, Novartis und GlaxoSmithKline. Die zwei anderen Einrichtungen mit der geringsten Anzahl veröffentlichter Studien sind ein staatliches Institut und ein öffentliches Krankenhaus. Dieser Fokus des Artikels deckt sich mit der weitverbreiteten Annahme, dass Pharmaunternehmen nur das veröffentlichen, was in ihre Marketingstrategie passt und Informationen zurückhalten, die dem Patienten helfen könnten, aber keinen monetären Gewinn bringen. Interessanterweise ist auch am anderen Ende der Skala ein Pharmaunternehmen Spitzenreiter, denn Shire hat alle angemeldeten Studien veröffentlicht. Auch wenn der BMJ-Autor diese Tatsache anerkennt, erwähnt er nicht, dass die nächsten 17 Plätze der Einrichtungen mit weitgehend vollständiger Veröffentlichung der angemeldeten Studien ebenfalls von Arzneimittelherstellern belegt werden.
TrialsTracker erlaubt dem neugierigen Nutzer aber, noch tiefer in die Materie einzudringen. Dazu kann man die Reihenfolge der Institutionen nach dem Prozentsatz der veröffentlichten zu den registrierten Studien sortieren. Jetzt belegen Arzneimittelhersteller die ersten 22 Plätze und die erste gemeinnützige Organisation findet sich erst auf Platz 23. Obwohl auch hier am anderen Ende der Skala ein Pharmaunternehmen steht, Ranbaxy Laboratories, das keine einzige registrierte Studie veröffentlicht hat, sind die nächsten 15 schlechtesten Performer in Bezug auf den Prozentsatz der veröffentlichten zu den registrierten Studien allesamt Universitäten, Krankenhäuser und staatliche Institute. Bei der Betrachtung des Prozentsatzes der veröffentlichten Studien im Vergleich zu den Registrierten, schneiden Arzneimittelhersteller also deutlich besser ab als bei Betrachtung der absoluten Zahlen.

Ist die Pharmaindustrie also nur Opfer einer voreingenommenen Berichterstattung? Möglicherweise nicht. Die Daten von TrialsTracker basieren ausschließlich auf Studien, die auf der ClinicalTrials-Webseite registriert wurden. Shires Publikationsrate von 100% scheint aber im Widerspruch zu gängigen Erfahrungen mit klinischen Studien zu stehen, von denen manche aus vielerlei Gründen ohne publizierbare Ergebnisse abgeschlossen werden. Ein kurzer Blick auf die EudraCT Datenbank zeigt, dass Shire dort 153 Studien registriert hat, während es nur 96 Studien auf clinicaltrials.gov sind. Und in der europäischen Datenbank haben einige Studien den Status “Nicht öffentlich zugängig” im Ergebnisbereich. Ob darunter auch nicht publizierte Studien sind, lässt sich nicht sagen, aber möglicherweise schneidet Shire schlechter ab als es auf TrialsTracker aussieht. Es wäre daher sehr wünschenswert, wenn die Europäische Arzneimittelbehörde bald auch die EudraCT-Datenbank jedem oder zumindest TrialsTracker zugänglich machen würde, um mehr Transparenz in die Datenlage zu bringen.
In erster Linie belegen die Daten auf TrialsTracker, dass unveröffentlichte Studien nicht hauptsächlich ein Problem der Pharmaunternehmen sind, sondern vieler Organisationen, die Studien initiieren. Mehr Transparenz ist ein mächtiges Mittel, um die Effektivität der Gesundheitssysteme zu erhöhen und TrialsTracker kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Wenn allerdings die Daten dazu dienen, selektiv bestimmte Gruppen bloß zu stellen, könnte dieses Ziel verfehlt werden. Wissenschaft wird durch Versuch und Irrtum vorangetrieben, und dazu gehören auch fehlgeschlagene Versuche, eine Studie zum Abschluss zu bringen. TrialsTracker deckt einen weit verbreiteten Mangel auf, der dringend angegangen werden muss. Wenn nur einzelne Gruppen für eine negative Berichterstattung herausgepickt werden, wird möglicherweise nur eine Atmosphäre der Angst erzeugt, die schlimmstenfalls dazu führt, dass weniger Studien durchgeführt werden.

* Trials Tracker
** Clinical Trials
# Clinical Trials Register

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